Predigten
zum Alten Testament
Predigt in der
Reihe „Gottesbilder“ – Segenskirche Holzkirchen, 29.7.2001
Höre
mich, wenn ich rufe – der Gott der Psalmen
Liebe
Gemeinde!
1. Woran es wohl
liegt, dass so viele Menschen sich in den Psalmen wiederfinden? Dass sie
das Gefühl haben: hier kann ich mir Worte leihen, die mir sonst fehlen?
Die Psalmen sind
uralte Worte und Gebete. Seit Jahrtausenden von Menschen gebetet, und doch
offensichtlich immer noch hochaktuell. Vielleicht weil sie so etwas sind
wie ein Spiegel? Ein Spiegel der Seele. Elementare Bedürfnisse und
Lebenserfahrungen werden in Worte gefasst. Ohnmächtige Wut, Zorn, Sehnsucht
nach Frieden, nach Schutz und Hilfe, nach Gottes Nähe ...
Psalmen sind aber
auch ein Spiegel des Gottesbildes derer, die sie ursprünglich beteten und
aufschrieben.
Wie
nähern sich die Psalmbeter ihrem Gott? Was für ein Gott ist das?
2. Die jüdische
Tradition nennt den Psalter: Buch der Preisungen. Dahinter steht die
Vorstellung vom Menschen: Ein lebendiger Mensch ist einer, der Gott lobt,
der preisend über Gott spricht, in Wort, Gestus, musikalischer Begleitung.
Genau darin unterscheidet er sich von einem Toten, von einem, der
abgeschnitten ist vom Leben, von Gott und den Menschen. (Ps 6,6: Denn
bei den Toten denkt niemand mehr an dich. Wer wird dich in der Unterwelt
noch preisen?)
3. Das Loben
Gottes ist Zeichen der Lebendigkeit. Dass Gott gelobt wird, ist in der
Bibel ein ganz selbstverständliches Geschehen. Das Ziel des Daseins besteht
darin, die Grundkomponente des Menschseins. Der Mensch geschaffen zu Gottes
Lob.
Darum wird
öffentlich gelobt, nicht im Verborgenen.
Das Loben Gottes
drängt nach außen als dankbare Lebenshaltung und als Freude. Das Gotteslob
hat nicht nur mit Gott und der Gottesbeziehung zu tun, sondern hat auch
Bedeutung für das Miteinander der Menschen. Es setzt sich fort in der
Familie, in der Gruppe, in der Gemeinde, in der Gesamtheit der Völker, auch
über die Generationen hinweg. Die Taten Gottes werden weitererzählt von
Vätern und Müttern an die Kinder und Enkel. - „Lobe den Herrn meine
Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ (Ps 103)
Was Gott Gutes
getan hat, ist es wert, bekannt gemacht zu werden. Ganz anders als in
unserer Zeit, wo nicht die Freude und schon gar nicht Lob Gottes, sondern
die Nörgelei, die Unzufriedenheit transportiert werden. Wir erzählen von
unseren Wehwehchen. Wer nicht etwas zu beklagen hat, und seien es der
Zeitdruck oder die schlechten Politiker, wird schief angeschaut. So jammern
wir über die schlechte Welt, vielleicht auch über unsere Leiden.
Dabei bleiben wir
bei uns, starren auf uns selbst und beschränken selbst unsere Lebenssicht.
4.
Wirkliches Leiden sperrt ein, die Not verschließt Menschen.
In
einigen Psalmen werden gemäß vorherrschender Tradition Menschen als
Vorbilder hingestellt, die leidvolle Erfahrungen bei sich behalten und
still auf Gottes Eingreifen hoffen (37,7; 38,14; 39,3.10).
Es braucht also
offensichtlich einen starken Leidensdruck, um seine Not herauszuschreien,
so wie es der Beter im Bußpsalm 32,2ff tut (Denn als ich es wollte
verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen.)
Dass im Psalter
Klagen so häufig, vielfältig und so intensiv vorkommen ist überhaupt keine
Selbstverständlichkeit, sondern etwas ganz Besonderes.
5. Das gibt uns einen
Hinweis darauf, wie sich die Menschen Gott vorstellten, wie sie ihn
erlebten.
Diesen Gott kann
man mit Klagen behelligen. Er will nicht nur gelobt werden, sondern öffnet
sich den Menschen in allen Lebenslagen. Bei einem Gott, der tyrannisch ist,
nur an sich selbst interessiert, ein Despot, kann sich keiner beklagen. Da
darf keiner sein Herz und seine Lasten offen legen. Das geht nur bei einem
Gott, dem man Verständnis zutraut und Interesse an einem einzelnen Menschen
und seinen Bedürfnissen und Grundnöten - und mehr als das: Einfluss und die
Bereitschaft und Fähigkeit, die Dinge zum Besten zu wenden.
Dieser Gott ist
ansprechbar und lebendig. Er nimmt teil am Leben der Menschen in allen
Facetten.
Im Psalter finden
sich: Klagen über politische Verfolgung, über Rechtsnot, über Krankheit,
über Todesnot und Schädigung bis zum Tod. In den Armenpsalmen die Klagen
über kollektives Leiden an der Gesellschaft, Leiden an der eigenen Schuld,
Leiden an der Vergänglichkeit. Volksklagen: Leiden an geschichtlichen Katastrophen.
Allgemeine Klagen, Feindklagen, Anklagen Gottes!!
In den Klagen der
Psalmen hat Vieles Platz: da wird Not beklagt und geschildert. Da sind die
bohrenden Fragen nach dem Warum? und Wie lange noch? und da ist die Anklage
Gottes. Schließlich die inständige Bitte –und Gott wird um Hilfe gedrängt.
Das Klagen hat
keine Begrenzung, es gibt keine Denk- oder Sprechverbote. Das Wesentliche
ist, dass die Verbindung zwischen Gott und dem Beter gehalten wird. Und wer
mit Gott spricht, auch in Form der Klage, hält genau diese Verbindung.
6. Geradezu
typisch für die Klagepsalmen ist, dass in ihnen ein Stimmungsumschwung
passiert. Auf dem Höhepunkt der Notschilderung und Bitten geschieht ein
Wandel. Ganz plötzlich taucht da die Rettung auf. Sie wird einfach festgestellt:
Ps 3,8 Herr, erhebe dich, mein Gott, bring mir Hilfe! – Denn all meinen
Feinden hast du den Kiefer zerschmettert, hast den Frevlern die Zähne
zerbrochen. – oder - Ps 22,22 Rette mich vor dem Rachen des Löwen! –
Vor den Hörnern der Büffel hast du mich erhört.
Die
Klage bricht durch zum Lob. Wie ist das zu erklären?
Die Psalmbeter
befinden sich in einem „Gebetsprozess“: und mitten in der Klage – ohne
„Vorwarnung“, völlig unvermittelt - stellt sich die Gewissheit der Erhörung
bzw. die Wende der Not ein. Ein Großteil der Klagepsalmen endet darum mit
Äußerungen des Vertrauens und/oder im Lobgelübde „ich will dich loben
immerdar“.
In den
Klagepsalmen wird ein Prozess sichtbar, ein innerer Weg vielleicht, in dem
ein betender Mensch Gott zum Eingreifen bewegt, um die Not zu wenden und
den Beter in den ersehnten Zustand des Lobens zu versetzen. Das Loben ist
Rückkehr und zugleich Ziel des integren geschöpflichen
Daseins vor Gott.
Aber woher
beziehen die Beter die Gewissheit des Wandels? Dass sich also etwas Entscheidendes
ändern wird, ja sich schon geändert hat? - Aus der Erfahrung, die sie
selbst mit Gott bereits gemacht haben. Und nicht nur sie selbst, auch
andere Menschen, aus der Familie, aus der Sippe, aus der Umgebung. Darin,
dass öffentlich gelobt wird, liegt diese vergewissernde Kraft. Darum ist es
so existentiell wichtig, andere am Loben teilhaben zu lassen. Menschen
erinnern sich gegenseitig daran, dass Gott in der Lage war und ist,
Situationen grundlegend zu ändern.
7. Aber ist das
nicht Selbstbetrug? Selbstkonditionierung? Was ist denn wenn Gott schweigt,
wenn er nicht hilft, wenn die Umbruchserfahrung ausbleibt?
Auch diese
Erfahrung spiegelt sich in den Psalmen wieder, wenn es beispielsweise um
nationale Schicksalsschläge geht. Sie werden beklagt, ohne die Aussicht auf
schnelle Veränderungen.
Immer wieder wird
die notvolle Gegenwart dann mit der vergangenen
Heilsgeschichte konfrontiert. Es wird keine Auflösung angeboten, sondern
die Beter werden zu eigenen Konsequenzen und Rückschlüssen herausgefordert.
Manche Psalmen enden zwar dennoch mit dem traditionellen Versprechen des
Lobes, andere aber auch ohne Vertrauensbekenntnis und Lobversprechen (Ps 88
und 89). Am Ende steht der Ruf nach dem Eingreifen Gottes. Die Spannung
gilt es auszuhalten, dass das Lob noch aussteht.
Wenn Menschen Gott
loben, wie Israel und viele Psalmbeter, dann ist das häufig ein durch die
Klage errungenes Loben. Es drückt den Willen aus, trotz aller Belastungen
und allen Leidens an Gottes Treue festzuhalten (Dennoch bleibe ich stets
bei dir ... Ps 73) und Gott selbst an seine Durchsetzungskraft zu
binden.
8. Ein letzter
Gedanke: Sowohl wer klagt und bittet, als auch wer Gott lobt, redet von und
zu Gott. Die Sprache der Bitte/Klage und die Sprache des Lobens
unterscheiden sich allerdings deutlich voneinander.
Beim Bitten und
Klagen werden konkrete Situationen und Anliegen benannt. In der Regel legt
der, der bittet, fest, wie er sich die Erfüllung der Bitten vorstellt. Und:
wer bittet, geht aus von sich und von seiner Welt.
Wer lobt, geht
dagegen von Gott aus, denkt von Gottes Möglichkeiten her. Das Gotteslob
bleibt offen, denn es spricht von dem her, was kommt.
In gewisser Weise
hat natürlich auch das Loben Gottes eine bittende Funktion: das Lob will
die Veränderung einer Welt, die dem Lob widerspricht. Aber es lässt Gott
alles offen. Lob Gottes kommt von der Zukunft Gottes her. Ein Mensch, der
Gott lobt, ist seiner Zeit voraus!
Amen.
Und
der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und
Sinne in Christus Jesus. Amen.
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