Winter
Der Winter ist ein rechter Mann,
kernfest und auf die Dauer;
sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an.
Er scheut nicht süß noch sauer.
Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
und Teich und Seen krachen;
das klingt ihm gut, das hasst er nicht,
dann will er sich totlachen.
Sein Schloss von Eis liegt ganz hinaus
beim Nordpol an dem Strande;
doch hat er auch ein Sommerhaus
im lieben Schweizerlande.
Da ist er denn bald dort bald hier,
gut Regiment zu führen,
und wenn er durchzieht stehn wir
und sehn ihn an und frieren.
Matthias Claudius (1740-1815)
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Im Frühling
Leise sank von
dunklen Schritten der Schnee,
Im Schatten des Baums
Heben die rosigen
Lider Liebende.
Immer folgt den dunklen
Rufen der Schiffer
Stern und Nacht;
Und die Ruder
schlagen leise im Takt.
Balde an verfallener
Mauer blühen
Die Veilchen,
Ergrünt so stille die
Schläfe des Einsame.
Georg Trakl
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Osteraufstand
Wenn
Gott lichter ist
als alle Verzweiflung
tiefer
als jeder Abgrund
Wenn
hinter der Grenze
das Leben sich weitet
größer
als unsere Angst
Wenn
wir das Ende
zu kennen glauben
stärker
als alle Vernunft aber die Hoffnung
ist wenn
© C.
Moosbach 2004
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zur Herbstzeit ...
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Rainer Maria Rilke
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Verklärter Herbst
Gewaltig
endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
Und sind des Einsamen Gefährten.
Da sagt
der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
Gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise
Es ist der Liebe milde Zeit
Im Kahn den blauen Fluss hinunter
Wie schön sich Bild an Bildchen reiht
Das geht in Ruh und Schweigen unter.
Georg
Trakl (1887-1914)
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Das Ende vom Lied
Ich säh' dich gern
noch einmal wie vor Jahren
Zum erstenmal. -
Jetzt kann ich es nicht mehr.
Ich säh dich gern
noch einmal wie vorher,
Als wir uns herrlich
fremd und sonst nichts waren.
Ich hört dich gern
noch einmal wieder fragen,
Wie jung ich sei...
was ich des Abends tu -
Und später dann im
kaumgebornen ‚Du'
Mir jene tausend
Worte Liebe sagen.
Ich würde mich so
gerne wieder sehnen,
Dich lange ansehn
stumm und so verliebt -
Und wieder weinen,
wenn du mich betrübt,
Die vielzuoft
geweinten dummen Tränen.
- Das alles ist
vorbei... Es ist zum Lachen!
Bist du ein andrer
oder liegts an mir?
Vielleicht kann
keiner von uns zwein dafür.
Man glaubt oft nicht,
was ein paar Jahre machen.
Ich möchte wieder
deine Briefe lesen,
Die Worte, die man
liebend nur versteht.
Jedoch, mir scheint,
heut ist es schon zu spät,
Wie unbarmherzig ist
das Wort: „Gewesen!"
Mascha Kaleko
(1907-1975)
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Zuflucht
noch hinter der Zuflucht
Für Peter Huchel
Hier tritt ungebeten nur der wind durchs tor
Hier
ruft nur gott an
Unzählige leitungen läßt er legen
vom himmel zur erde
Vom dach des leeren kuhstalls
aufs dach des leeren schafstalls
schrillt aus hölzerner rinne
der regenstrahl
Was machst du, fragt gott
Herr, sag ich, es
regnet, was
soll man tun
Und seine antwort wächst
grün durch alle fenster
Reiner
Kunze
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